Gedenkkundgebung Günter Schwannecke – Redebeitrag Berliner Obdachlosenhilfe

Vor 27 Jahren wurde hier, an diesem Ort, der politische Künstler Günter Schwannecke brutal ermordet. Ermordet zum einen, weil er den Mut gezeigt hatte, sich Faschist*innen in den Weg zu stellen und ihre Gewalt nicht einfach hinzunehmen. Ermordet wurde er aber auch, weil er im Weltbild der beiden Neonazis als Wohnungsloser es nicht Wert war, zu leben. Im Prozess riefen die Kameraden des Täters „das war doch nur ein Penner“. Der Presse und dem größten Teil der berliner Gesellschaft war der Tod Günter Schwanneckes nur eine Randnotiz wert. So berichtete der Tagesspiegel beispielsweise nur vom „Tod eines Betrunkenen“.

Mordende Neonazis kommen aber nicht aus dem Nichts. Ermutigt werden sie von einer Mehrheitsgesellschaft, die Menschen, die nicht dem bürgerlichen Lebensideal entsprechen, ausschließt und abwertet. Damals wie heute werden obdachlose Menschen nicht als Teil der Gesellschaft wahrgenommen. Immer wieder werden sie angepöbelt, angezeigt und auf Betreiben von Anwohner*innen von der Polizei vertrieben. Sie werden als „asozial“ beschimpft und mit herbeifantasierten Geschichten wie der von der sogenannten Bettelmafia als kriminell dargestellt. Die sogenannte gesellschaftliche Mitte ist trotz aller Beileidsbekundungen immer bereit, nach unten zu treten.

Auch die Politik reiht sich leider ein. Die SPD hat 2016 fast sämtliche Sozialleistungen für Menschen aus anderen EU-Ländern abgeschafft. Für viele Betroffene bedeutet das, dass sie nun keinen Zugang mehr zu Wohnheimen, Entzugstherapien und in vielen Städten nicht mal mehr zu Notübernachtungen haben. Der grüne Bürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, lässt Obdachlose aus der Innenstadt vertreiben und möchte sie am liebsten abschieben. Dazu bedient er sich immer wieder rassistischer Aussagen über „aggressive osteuropäische Obdachlose“. Des Applauses von Konservativen und Nazis kann er sich dabei sicher sein.

An der Rummelsburger Bucht wurde dieses Jahr eine der letzten Flächen in der Stadt, auf der obdachlose Menschen als Gruppe wohnen konnten, geräumt. Stattdessen sollen Luxuswohnungen und ein Vergnügungspark mit Haiaquarium für Reiche gebaut werden. Immer wieder werden Lager obdachloser Menschen geräumt. Dabei sind Rückzugsräume wie diese für Menschen auf der Straße überlebensnotwendig, weil sie Schutz vor Angriffen, wie dem auf Günter Schwannecke, bieten. Die Probleme und die Armut in dieser Gesellschaft sollen so durch Repression unsichtbar gemacht und an den Rand gedrängt werden. An den Ursachen der Probleme wird so nichts geändert. Dafür wird die Stadt aber zu einer Wohlfühlblase für Tourist*innen und Wohlhabende gemacht.

Die Sozialpolitik ist mehr Elendsverwaltung als Hilfe für die Betroffenen. Um einen der wenigen Plätze im Wohnheim zu erhalten, müssen strenge Vorgaben erfüllt werden. Menschen mit der „falschen“ Staatsbürgerschaft sind komplett ausgeschlossen. Notschlafplätze sind viel zu wenige vorhanden.

Um obdachlosen Menschen effektiv zu helfen und sie vor Gewalt zu schützen, muss ein Umdenken stattfinden: Statt die Menschen zu zwingen, sich dem bürgerlichen Lebensentwurf anzupassen, müssen Menschen ihr Leben selbst gestalten können – ohne Angst auf der Straße zu erfrieren oder ermordet zu werden. Obdachlose Menschen dürfen nicht in rattenverseuchten Unterkünften auf engstem Raum zusammengepfercht werden. Auch sie haben Anspruch auf ein Leben in Würde in eigenem und selbstbestimmtem Wohnraum. Das Berliner Housing First Projekt ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Wir fordern das Projekt auszuweiten und für alle obdachlosen Menschen zugänglich zu machen.

Vor allem aber müssen endlich wieder bezahlbare Wohnungen geschaffen werden. Der Mietendeckel ist ein nettes Signal, längerfristig lösen lässt sich das Problem aber nur durch den massenhaften Bau von Sozialwohnungen und die großflächige Enteignung der privaten Wohnungskonzerne. Erst wenn Wohnungen keine Ware mehr sind, wird auch der Bedarf armer und obdachloser Menschen beachtet werden. Außerdem müssen alle Zwangsräumungen sofort gestoppt werden. Jeder Mensch, der aus seiner Wohnung auf die Straße gezwungen wird, ist einer zu viel.

Wir sagen: Jeder Mensch verdient ein gutes und selbstbestimmtes Leben, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Lohnarbeit.

Besonders zynisch ist es, wenn diejenigen, die Günter Schwannecke und so viele andere ermordet haben, sich jetzt als Helfer*nnen darstellen. Organisationen wie „Deutsche helfen Deutschen“, oder die „Deutsche Winterhilfe“ verteilen Spenden ausschließlich an Menschen, die nach ihrer Definition „Deutsch“ sind und versuchen, die soziale Frage rassistisch umzudeuten. Auch in Berlin nutzt der von ehemaligen „Pro Deutschland“-Kadern geführte Verein „Brot für Berlin“ Hilfsangebote für wohnungslose Menschen, um Stimmung gegen Geflüchtete zu machen.

Die menschenverachtende Ideologie hinter diesen Vereinen muss bekämpft werden, genau wie eine Gesellschaft, die Menschen auf der Straße sterben lässt, und ihre mordenden Handlanger.

Günter Schwannecke hat sich Faschist*innen entgegengestellt und wurde dafür ermordet. Wir wollen ihm nicht nur als Mensch und politischem Künstler, sondern auch als Genossen, der sich für eine sozialere und gerechtere Gesellschaft eingesetzt hat, gedenken.

Danke.

Foto von https://www.antifainfoblatt.de/artikel/das-war-ein-politischer-mord