Presseerklärung zur Hausbesetzung in der Berlichingenstraße 12 in Moabit

06.10.2018

Wir, die Berliner Obdachlosenhilfe e.V., unterstützen die heutige Besetzung des Hauses in der Berlichingenstraße 12.

Dazu Niclas Beiersdorf für die Berliner Obdachlosenhilfe e.V.:

„Wir freuen uns dass die Besetzer*innen das Haus für obdach- und wohnungslose Menschen öffnen wollen. Noch mehr freuen wir uns, dass ein Konzept für das Haus entwickelt wurde, welches vielen Problemen der „klassischen“ Wohnungslosenhilfe mit alternativen Ansätzen begegnen möchte.

Wir sind frustriert davon, dass trotz der massenhaften Ausweitung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit in dieser Stadt höchstens die Elendsverwaltung optimiert wird, während Ursachen unangetastet bleiben.

Seit Jahren ist bekannt, dass es in Berlin einen massiven Mangel an günstigen Wohnungen für Geringverdienende, Sozialleistungsempfänger*innen, wohnungslose Menschen, Geflüchtete, Studierende und viele andere Gruppen gibt. Trotzdem werden die Mieten – auch bei den öffentlichen Wohnungsgesellschaften – immer weiter erhöht. Es fallen immer mehr Wohnungen aus der Sozialbindung. Währenddessen stehen Wohnungen, ja ganze Häuser, leer weil es sich durch die rasanten Wertsteigerungen lohnt, sie erst zu einem späteren Zeitpunkt zu vermieten. Gebaut werden Luxusapartments, Hotels oder Büros, die das Problem viel eher ver- als entschärfen. Die steigenden Mieten führen dazu, dass immer mehr Menschen sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten können und zwangsgeräumt werden. So werden mehr und mehr Menschen in die Obdachlosigkeit getrieben.

Auf der Straße sind sie Diskriminierung und Gewalt schutzlos ausgeliefert: Von Beleidigungen bis hin zu brutalen Angriffen wie erst vor Kurzem in Schöneweide und in der Holzmarktstraße. Politiker*innen verstärken mit rassistischen und sozialdarwinistischen Sprüchen noch das gesellschaftliche Klima, in dem sich die Täter*innen bestätigt fühlen. Obdachlose Menschen werden, oft unter dem Beifall „besorgter Bürger*innen“, von der Polizei brutal aus ihren Lagern geräumt, vom Ordnungsamt schikaniert und von Security-Mitarbeiter*innen verprügelt.

Währenddessen sind die Hilfsprogramme, die es gibt, komplett unterfinanziert und -besetzt: Die Straßensozialarbeit kann bei weitem nicht den Bedarf abdecken. Wohnheime und die dringend benötigten Frauenhäuser sowie selbst die Plätze der Kältehilfe sind viel zu wenige vorhanden. Dabei werden auch Trägervereine verdrängt oder finden keine Immobilien, sodass sogar noch Wohnheimplätze verloren gehen.

Ein Beispiel dafür ist die nun besetzte Berlichingenstraße 12. Hier wurden die teils jahrelang in dem Männerwohnheim wohnenden Bewohner aus dem Haus geworfen, weil mit der Unterbringung von Geflüchteten mehr Geld zu verdienen war. Das Beispiel zeigt wieder einmal, wie durch die Auslagerung von sozialen Aufgaben an profitorientierte Unternehmen, Bedürftige gegeneinander ausgespielt werden.

Die wenigen Unterkünfte sind zudem oft nicht an die Bedürfnisse obdachloser Menschen angepasst: Bedingungen, von der richtigen Staatsbürgerschaft über bürokratische Hürden bis hin zum Entzug, müssen erfüllt werden um einen Platz zu bekommen und zu behalten. Für Menschen, die unter den widrigen Bedingungen der Straße leben, sind diese Bedingungen meist kaum zu erfüllen. Zudem sind viele der oft privat betriebenen und profitorientiert wirtschaftenden Unterkünfte in extrem schlechtem Zustand und völlig überfüllt.

Wir begrüßen deshalb ausdrücklich das Konzept der Hausbesetzer*innen, den Wohnraum für Wohnungslose, Geflüchtete, Geringverdiener*innen, Studierende umsonst und selbstverwaltet zur Verfügung zu stellen. Die Orientierung am Housing-First-Ansatz halten wir für sinnvoll und stimmen mit den Besetzer*innen überein, dass an erster Stelle jeder Sozial- und Wohnungslosenhilfe immer Respekt und Freiwilligkeit stehen müssen.

Wir fordern den Senat auf, die notwendigen Schritte zu ergreifen, um die Verwirklichung des Konzepts möglich zu machen und die Räumung des Hauses zu verhindern!“

Berliner Obdachlosenhilfe e.V.